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  • AutorenbildDie Autorität

Das kleine Paradoxon

Es war einmal ein kleines Paradoxon. Woher es kam, dass wusste es nicht, es war sich nicht mal sicher, ob es um seine eigene Existenz wusste. Das kleine Paradoxon fühlte sich schrecklich allein, denn es merkte schnell, dass es nicht wie die anderen war. Es maß anderen Dingen Bedeutungen zu und sah die Welt mit einem ganz eigenen Blick. Als es durch die Welt ging und ihm die Diskrepanz zwischen ihm und der Gesellschaft immer offenkundiger wurde, begann es sich zu verändern. Das Gefühl allein zu sein und sich verstecken zu müssen, da es den normativen nicht gerecht werden können würde, wurde zu einem Teil seines Charakters. Das kleine Paradoxon hatte schon immer gern und viel gelernt, war neugierig und hatte seinen infantilen Erkundungsdrang nie verloren. Drum steckte es nun seine ganze Energie und Kraft in dieses neue Konstrukt. Es hörte seinen Eltern nun zu und diese brachten ihm die Traditionen und gesellschaftlichen Normative nahe, welchen es zuvor keine Beachtung geschenkt hatte. Es lernte schnell und vor allem Dingen lernte es in der Gesellschaft zu leben und der gesellschaftlichen Determination zu folgen. Es ging zur Schule, eignet sich die Normative seiner Umgebung an und hörte auf, auf seine Individualität zu achten und auf das stolz zu sein, was es von anderen unterschied. Viel mehr suchte es immer mehr nach Gemeinsamkeiten zwischen ihm und der Masse. Ja es lernte gar so gerne, dass ihm die Konventionen quasi in Fleisch und Blut übergingen. Es hatte viele Freunde und fühlte sich wohl in deren Gesellschaft, schließlich hatten sie es als gleichwertig anerkannt. Seine eigene Andersartigkeit hatte ihm lange Angst bereitet, so war es der Weg des geringsten Widerstands, seine Individualität aufzugeben und ein Teil des Kollektivs zu werden. Sie waren alle ja nun alle Sozialisiert, alle ein Teil des großen und ganzen Puzzles der Gesellschaft. Es war zu einem Paradoxon gereift, welches seine Existenz an Hand von sozialen Normativen definierte, so wie es es gelernt hatte. Dabei verlor der Begriff der Individualität immer mehr an Bedeutung, je mehr Gemeinsamkeiten es in sich in der Masse erkannte, ohne darüber nachzudenken, ob es seine eigene Existenz in der Belanglosigkeit der Masse verlieren möchte. Tief eingeschlossen im innersten Kern, in den Untiefen des Unterbewusstseins hatte es seine Individualität versteckt. Eingeschlossen in einem Zimmer, den Schlüssel vergraben und den Ort versucht zu vergessen. Die Konformität, der Einheitsgedanke hatte ein neues Bewusstsein erschaffen. So nahmen die Dinge ihren Lauf und unser kleines Paradoxon wurde schnell größer und wurde zu einem großen Paradoxon. Das große Paradoxon lebte in der Gesellschaft, empfand in der ein oder anderen Situation ein kleines Gefühl von Erfüllung und blieb doch innen leer. Doch da es nicht nach Unterschieden zu anderen suchte, sondern immer versuchte, die Gemeinsamkeiten zu sehen, konnte es die innere Leere nicht spüren oder wahrnehmen. Das große Paradoxon war kein Paradoxon mehr, es war zu einem Paradigma geworden. Einem Paradigma, welches paradoxerweise seinen eigenen Sinn der Existenz nicht mehr kannte, ja gar verleugnete. Unser großes Paradigma erkannte nicht, dass es sich so verändert hatte. Es lebte in seiner eigenen Monotonie gefangen und suchte seine Erfüllung in der Gesellschaft. Freilich konnte es diese auch zeitweise finden, schließlich war es auch kein Paradoxon mehr, sondern ein Paradigma von vielen.

Umso ältere unser Paradigma wurde, desto mehr spürte es, dass es sich selbst nicht mehr leiden konnte. Es begann darüber nachzudenken, wieso es nur Paradigma war, hatte es sich nicht früher zu höherem bestimmt gefühlt. Es begann zu hinterfragen wo es herkam. Es begann sich zu fragen, wieso es zwar ein Teil der Gesellschaft war, aber trotzdem in der Masse unterzugehen schien. Ein Paradigma unter vielen, ohne jegliche Beachtung. Es war nur ein Paradigma unter tausenden und doch war auch unser großes Paradigma nicht anders als alle anderen. Die Sozialisation hatte sein übriges zur Gleichschaltung beigetragen. Die Deindividualierungsprozzesse hatten so viel Besitz von ihm ergriffen, dass es nur noch die paradigmatischen Zustände der Gesellschaft repräsentieren konnte. Freilich hatte es so seine determinierte Rolle in der Gesellschaft gefunden, war dieser Rolle gefolgt, hatte sie akzeptiert, angenommen und gelebt und wurde somit auch seinem Namen für viele andere gerecht. Doch es begann sich zu fragen, ob es, so wie es war, überhaupt ein Paradigma sein wollte. Und wenn ja, was für ein Paradigma wollte es sein? Wollte es den anderen gleichen oder mit einem anderen Beispiel voran gehen? Es war es leid, allein zu sein, sich so zu fühlen wie alle anderen und sich nicht von ihnen zu unterscheiden.

Lange musste über sich selbst und die Welt sinnieren. Es betrachtete sich oft im Spiegel und fragte sich, was es sehen konnte. Klar, es sah nicht aus wie die anderen, aber es glich ihnen trotzdem bis auf die Knochen. Es guckte in den Spiegel und sah hunderte verschiedene Paradigmen in sich selbst, nur konnte es sein eigenes Ich darunter nicht mehr erkennen. Eine längst vergessene Wahrheit begann in ihm zu keinem und es erinnerte sich an Fragen, die es sich zu Anfang, zum Beginn gestellt hatte. Oft konnte es nachts nicht schlafen, quälten ihn doch zu viele Gedanken. Unser großes Paradigma begann sich zu erinnern, an Wahrheiten, die es für sich selbst früher gekannt hatte. Mit eintreten dieser Erkenntnis begann es sich zu verändern. Aus unserem großen Paradigma wurde ein paradoxes Paradigma. Es fragte sich selbst, wie es die eigenen Ambivalenzen, die in ihm leben zu schienen, erst jetzt erkennen konnte. Es begann zu verstehen, dass es seine eigenen Wahrheiten zulassen musste, um seiner Umgebung zu entfliehen, in welcher es sich nicht mehr so wohl fühlte wie früher. Unser großes paradoxes Paradigma schaute nun mehr darauf, wer oder was es sein wollte. Es ließ den Gedanken wieder zu, dass Konformität zwar schön und gut sein konnte und ihm auch zeitweise Glück in der Masse der anderen empfinden ließ, doch wollte es für sich selbst auch einen anderen Weg erkennen. Paradoxerweise musste es erst zu einem Paradigma der Gleichschaltung werden, um die Abgründe seiner eignen Existenz zu erkennen und diese vor allem zu zulassen. Ihm wurde nun klar, warum es den Namen Paradoxon trug. Es hatte seinen waren Namen, ja den Grund seiner Existenz erkannt. Es schämte sich dessen nicht mehr, viel mehr versuchte es, die paradoxen Zustände in seinem Inneren herauszulassen und dabei ein Paradigma für Gleichgesinnte darzustellen. Schnell merkte es, dass es nicht so allein war, wie es immer gedacht hatte. Sein Blick hatte sich geschärft. Es konnte nun nicht mehr die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede sehen. Davon fühlte es sich überwältigt und bereichert. Ihm wurde klar, dass es eine Wahl hatte. Ihm wurde klar, dass eine große Kluft zwischen Determination und Freiheit klaffte, aber es trotzdem möglich war, diese zu überqueren. Ihm wurde auch klar, dass überqueren nicht gleichzusetzen mit übersiedeln war. Viel mehr hatte es erkannt, dass sich eine Brücke bauen ließ, sodass es seinen eigenen Mittelweg finden konnte. So lebte unser großes paradoxes Paradigma und war stolz auf sich selbst, auf seine eigene Existenz, auf seinen Namen, den es nun nicht nur nach außen trug, sondern viel mehr zu seiner eigenen Bestimmung machte.

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